Diesen Verfall zu genießen

Sizilianische Psalmen

I

Diesen Verfall zu genießen.
Diese bröckelnden Hotels
mit ihren großschnäuzigen Eingangshallen
wo man stündlich auf den Ansturm
der Straßenjungen wartet
um mit einer letzten großartigen Gebärde
lächelnd erschlagen zu werden:
Alles ist Endzeit
immer schon
immer war jede Zeit Endzeit
und immer schon
musste man sich
- wenns geht -
besoffen von Flieder oder Jasmin
ans Weiterleben erinnern.

Schön:
Im Verfall zu versinken und
wenn auch nur kurz
mit der Geste der Herren
sein zerfressenes Ich
zu polieren,
von Mitleid verschont
und von allen Gedanken
an Recht und Gerechtes
dümmlich und stolz und erhaben
unterzugehen.

II

Keiner kann mir erzählen
dass Lava kein Tier sei
und wie mir der Wirt
zwischen der Pizza und einer Cassata versicherte
kein „animale di un sogno terrible“
und dass da im Inneren der Erde nicht wirklich die
Hölle brodelt
Alle diese in heißen Schleim verfinsterten
verendenden Wesen
kann mans ihnen verdenken
dass sie ans Licht wollen
Sich über Bäume und Wiesen und selbst Flüsse
und Meere verströmen
um teilzuhaben am helleren Leben?
Ich würde wohl scheitern an dieser gigantischen Fotze
die ohne zu ruhen Feuer gebärt
auf dass der Kreislauf nie ende
und die Hölle nie endlos sei
auch wenn sie mich reiten würde
wohlgemerkt in sicherer Entfernung
und behütet von zwei erfahrenen Führern
die mir versichern
dass der Untergang der Welt
sich noch um ein paar Tage verschiebt
gegen ein angemessenes Trinkgeld, versteht sich
aber so nah bin ich den Tiefen der eigenen Seele
noch nie gewesen.
Als ob dieser Feuerteig
nur darauf wartete
aus mir gespien zu werden
um sich noch im Erkalten
mit der Welt zu verbünden.

III

Schübe von Duft
und ein gefährliches, nie endendes Blau.
Mädchen schlendern vorbei
dralle, wiehernde Mädchen
mit Schenkeln aus Erdnussbutter geformt
und himmlischen, pompösen Brustwarzen
und dazu –
überall bist du
zwischen den Brüsten der Gemüsefrauen
strahlt mir dein Gesicht entgegen
und auf den liebevollen Blicken der schwulen Buben
schwimmst du mir zu.

Hätten sie nur diesem christlichen Gott
das Fleisch gelassen
hätten sie uns nur einmal erzählt
wie Jesus gierig in den Schoß der Magdalena getaucht ist
hätten sie doch die Götter weiterhin vögeln lassen
ließen sie nur die Liebenden
auf ihren Altären zeugen und gebären -
man muss die Wollust zum Sakrament machen
anstatt sie aus den Kirchen zu verbannen.

Ach, von einem Gott bestiegen zu werden
am liebsten im Frühjahr
zwischen Amalfi und Sorrent
zwischen Pinien und Oliven
vom Wechseltakt ländlicher Melodien
und von diesem Verzücken verschaukelt lebenslang zu zehren –
das wäre mir Gottesdienst genug.
Was flössen da die Psalmen aus meiner Feder
da könnt ich nicht mehr aufhören
mit Hosianna-Brüllen
so gläubig, so innig
dass die Sonne selbst
einen Augenblick lang
schmelzen müsste
und als Lava die Erde verschlänge.

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